GRIP 06

01.06.1993

Konzept für eine Kino-Förderung

Seit ca. einem halben Jahr arbeitet eine Gruppe von Filmschaffenden auf Einladung von Filmhaus und Filmbüro an einem neuen Konzept für eine künftige Kino-Förderung.

Von Redaktion

Seit ca. einem halben Jahr arbeitet eine Gruppe von Filmschaffenden auf Einladung von Filmhaus und Filmbüro an einem neuen Konzept für eine künftige Kino-Förderung.
Der Arbeitsgruppe gehören Prof. Dr. Heide Schlüppmann vom Lehrstuhl für Medien-, Film- und Theaterwissenschaften, Hans Bornemann und Antje Witte vom werkstattkino mal seh'n, Jürgen Franke und Frederike Hauer von Pupille Schöne Neue Welt e. V., Prof. Helmut Herbst von der HfG Offenbach, Jürgen Karg, Hessische Filmförderung, Thomas Mank, Hessisches Filmbüro und Ernst Szebedits, Filmhaus Frankfurt, an.
Als Ergebnis der Diskussionen wurde - rechtzeitig zur Anhörung vor dem Hessischen Landtag - eine Konzeption entworfen, die grundsätzliche Fragen unabhängiger Film- und Kinoarbeit thematisiert. Nachstehend drucken wir eine gekürzte Fassung dieses Konzepts.

1 . Die Basis der Filmkultur: Das Kino
Auch und gerade in Hessen stellt das größte Problem für den Film das allenthalben zu beobachtende 'Kinosterben' dar. Von den wenigen Kinos auf dem Lande sind viele von der Schließung bedroht.*1 Ebenso rückläufig ist die Entwicklung der städtischen Programmkinos. *2 Verantwortliche Programmarbeit kann sich heute eigentlich kein Kino mehr leisten. Nur die Programmkinos aber geben dem vorwiegend unabhängig produzierten Film gegenüber den Produktionen der großen amerikanischen Firmen eine Chance. *3 Daher ist es notwendig, neben der Produktionsförderung ein Förderkonzept auszubauen, in dessen Zentrum die Kinos stehen, die immer noch die Basis der Filmkultur darstellen.
2 . Kino: Stiefkind der öffentlichen Hand
Kinokultur droht uns im Augenblick verloren zu gehen. Die öffentliche Hand ist dafür verantwortlich. Sie läßt dem Kino keine angemessene Förderung angedeihen, wie sie sie schon lange dem Theater zugute kommen läßt. Kino ist die zentrale Errungenschaft moderner Kultur und muß endlich ähnlich wie das Theater gefördert werden. Nur so kann Kino als Kultur - und nicht reine Kulturindustrie - überleben. Betrachtet man das Mißverhältnis in der Mittelverteilung zwischen Theater und Kino, so muß man den Eindruck gewinnen, als lebten wir noch im 19. Jahrhundert und der Film sei ein Schaubudenvergnügen, dem man hin und wieder einen Groschen opfert.

Entwurf einer Kino-zentrierten Filmförderung:
Ein Verdienst der Hessischen Filmförderung war, daß sie von Anfang an auch die Abspielförderung enthielt, wenn auch ohne adäquate finanzielle Ausstattung.* 4 Während die Hessische Filmförderung nachhaltiger zu einer selbstverwalteten Filmförderung, ähnlich dem Hamburger Modell, ausgebaut werden sollte, plädieren wir bei der Kinoförderung für ein Intendantenmodell. *5 Diese von uns vorgeschlagene Kinoförderung sollte sich aus der bestehenden Filmförderung ausgliedern. Eine neue Organisationsstruktur muß gefunden werden, die nicht nur die Mittelverteilung, sondern z. B. auch die Beratung der Kinos umfaßt.
1. Direkte Kinoförderung
Das bedeutet
Filmreihenförderung; dazu gehört die Förderung von Filmpaketen und deren Präsentation in verschiedenen Kinos
Ausfallbürgschaften für den europäischen und internationalen unabhängigen Film *6
Investitionshilfen zum Ausbau und zur Neueinrichtung von Kinos. Die Förderung könnte z. B. auch in der Überlassung von Gebäuden, die im Besitz der öffentlichen Hand sind, bestehen. Damit hätten die Gemeinden und Städte ein Programmkino, ohne sich mit dem Verwaltungsapparat eines Kommunalen Kinos zu belasten.
Kinopreis
2. Indirekte Kinoförderung
Die Kinos finden nur ihr Publikum, wenn es ein solches gibt. Zur Zeit steht einer finanziell aufwendigen Kinowerbung ein privater Filmkonsum gegenüber, der zumeist auch den Jugendlichen überlassen wird oder am Fernsehen stattfindet. Es fehlt an Präsenz des Kinos in der öffentlichen Diskussion, im Alltagsgespräch, in der Publizistik. Es fehlt aber auch eine Präsenz von Filmgeschichte, auf deren Hintergrund nur die neuen Filme adäquat gesehen werden können - wie zum Theater heute auch immer noch die Möglichkeit gehört, Euripides aufgeführt zu sehen. Die indirekte Kinoförderung zielt auf die Etablierung einer Kino - Wirklichkeit, die nicht identisch ist mit kommerziellen Vermarktungsstrategien, sondern mit Filmbildung zu tun hat. Dazu gehört: Förderung der Herstellung und des Vertriebs von Filmkopien aus dem Archiv der Filmgeschichte.
Pflege des Films in den Schulen. Als bescheidener Anfang die Möglichkeit, daß Programmkinos ihre Arbeit in den Bildungseinrichtungen annoncieren.
Finanzierung von unabhängiger Filmpublizistik aller Art: Filmzeitschriften, lokale Filmblätter, die die Arbeit der Kinos begleiten, Broschüren zu Filmreihen etc.

Anmerkungen:

  1. Hessens ältestes Kino, die mehrfach mit dem Hessischen Kinopreis ausgezeichneten Nassau - Lichtspiele in Haiger, schließt am 03. 05. 93. Ebenso die auch bereits mehrfach ausgezeichneten Apollo - Lichtspiele in Altenstadt, der Mondpalast in Brechen steht kurz vor der Schließung.
  2. So wurden in der Großstadt Frankfurt am Main von den ehemals vier Programmkinos drei in Erstaufführungskinos umgewandelt. Einzig das Werkstattkino Mal Seh'n versucht noch zu überleben. Mittlerweile war aus der Presse zu entnehmen, daß das Kommunale Kino in Frankfurt dem Sparkurs zum Opfer fallen soll.
  3. "Rund vier Milliarden Dollar kassiert die Audiovisions - Industrie Hollywoods allein in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft. Der Blick auf Deutschland, Schlußlicht der Filmproduktion und drittgrößter Auslandsmarkt Hollywoods nach Kanada und Japan, bestätigt die mediale Sklerose aufs schrecklichste. Bei durchschnittlich dreiunddreißig Filmen im Fernsehen pro Tag, Tausenden von verfügbaren Filmen auf Video und einer Kinopremiere alle sechsunddreißig Stunden, bleibt kaum mehr ein Grund, hier ins Kino zu gehen. Geht man schließlich doch einmal ins Kino, dann in einen Bestseller, schon lange vor dem Start präsent und bekannt. " (Wolf Donner, FAZ v. 04. 02. 93)
  4. Bilanz der Hessischen Filmförderung - Bereich Abspiel
  5. Durch die Einrichtung einer Kino-Intendanz mit Fachberatern können längerfristige Investitionen in Gang gebracht und gesichert werden.
  6. Auch die Filmverleiher werden von dieser direkten Förderung der Kinolandschaft eine Öffnung des Marktes für unabhängige Filme erwarten können. Dies betrifft z. B. auch den in Frankfurt arbeitenden Pandora - Filmverleih.

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

Schlagworte: Filmförderung, Kino, Filmkultur, Filmpolitik

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