GRIP 06
6/1/1993
Dicke Haut
Zur hessischen Filmförderung – Ein Gespräch mit Jürgen Karg
Von Stefan Müller
Wer sich ins Dickicht der bundesdeutschen Filmförderung traut, muß sich eine dicke Haut zulegen. Bei einer Anhörung im Hessischen Landtag haben die Frankfurter Institutionen Filmhaus, Filmbüro und Filmförderung kürzlich ihre Positionen auf den Tisch gelegt. Regionale Strukturen müssen verstärkt werden, verlangte Thomas Mank vom Filmbüro. Ernst Szebedits vom Filmhaus setzt auf verstärkte Zusammenarbeit der Filmszene. Und Jürgen Karg, Chef der Hessischen Filmförderung, wünscht sich “deutlich mehr Mittel”.
Stefan Müller unterhielt sich mit Jürgen Karg über den Sinn der Filmförderung in Deutschland.
GRIP: Auf Bundes- und Landesebene verteilen 16 Institutionen jährlich zwischen 150 und 250 Millionen Mark an wirtschaftlicher oder kultureller Filmförderung. Dem Regisseur Detlef Buck vergeht die Lust am Filmen, wenn er ans anstrengende Geldsammeln denkt. Wie kann der Länderbezug gelockert werden?
Karg: Die kulturellen Filmförderungen kooperieren sehr eng. Im Alltag, in der ganzen Beratungstätigkeit, die weit über die Fördertätigkeit hinaus geht, sind wir immer im Gespräch und überlegen, wie man besser fördern kann. Die Länderbezüge sind bei fünf kulturellen Filmförderungen praktisch dadurch aufgehoben, daß eine Förderung als Bezug für die anderen vier gilt. Das sind Hamburg, Hessen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern. Bei diesen reicht es, eine zu haben, um bei den anderen antragsberechtigt zu sein. Es ist in der Tat ein Problem, daß die Wege der Finanzierung für viele Projekte lang sind. Außer Hessen haben alle relativ hohe Fördermittel und sind auch mit hohen Obergrenzen bei kleineren Projekten in der Lage, sie voll zu finanzieren. Als Hesse muß ich dazu sagen, wir haben so wenig Mittel für die Projektförderung, daß wir kein Projekt so anfinanzieren können, daß es gleich entstehen kann, sondern wir können den Weg zu anderen Förderungen ebnen. Und wir können über eine beratende Tätigkeit helfen, daß der Blick in diese Förderlandschaft geöffnet und vereinfacht wird.
GRIP: In der Rangliste steht Hessen mit 2, 1 Millionen ja ganz unten.
Karg: Ja, die 2, 1 Millionen beinhalten auch die Arbeit der Geschäftsstelle und den Hessischen Kino und Filmpreis. Für die Projektförderung bleiben 900. 000 im Jahr übrig.
GRIP: Ein Beispiel aus der jüngsten Förderliste: “Die Denunziantin” von Thomas Mitschlerlich hat 50. 000 Mark aus Hessen bekommen. Der Film wurde vor allem in Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern gedreht.
Karg: Dieses Projekt hat uns so überzeugt, daß wir uns mit einer kleinen Summe an der Finanzierung beteiligt haben. Thomas Mitscherlich hat sich sehr gefreut. Selbst bei einem solchen Millionenprojekt ist eine kleine Summe auch wichtig als Baustein. Es ist mehr eine Geste diesem Projekt gegenüber, als eine relevante Finanzierung.
GRIP: Wie wird bei der Geldvergabe entschieden?
Karg: Wir versuchen bei der Einreichung von Projekten eine möglichst differenzierten Blick auf die Anträge zu werden. Wir lassen Filmbeispiele und Gespräche zu. Wenn von zehn Projekten, die wir fördern, ein Spitzenprodukt dabei ist, drei sehr gut gelungene und sechs schlechte Filme, sind wir immer noch besser als Hollywood. Die haben eine schlechtere Relation von Spitzenerfolgen, mittelmäßigen Filmen und Flops.
GRIP: Nach nur 9 1/2 Wochen hat der Filmbeauftrage für Brandenburg und Berlin, Georg Alexander, Ende 1992 die Segel gestrichen. Er sollte die Fördermittel beider Länder bündeln. Ein schlechtes Omen für die Filmförderung Ostdeutschlands?
Karg: Das sehe ich nicht so. Man kann jetzt in Ruhe darüber nachdenken, wie das gemeinsame Modell aussehen soll. Die existierenden Förderungen gehen weiter. Ich glaube nicht, daß es für Brandenburg jetzt heißt, die Förderung kommt zum erliegen. Die haben ein gutes Modell und arbeiten in dessen Rahmen weiter. Ich habe letzten Sommer eine Diskussion des Treffens aller Filmbüros und Filmverbänden in Potsdam geleitet, auf der wir ausführlich das Filmboard-Modell behandelt haben. Wir haben auch zwischen den Verbänden Ost- und Westberlins vermittelt. Ergebnis war, daß das Filmboard-Modell als gemeinsames Modell der Filmschaffenden in dieser Region akzeptiert wurde. Nach unserem Eindruck waren die Filmschaffenden nicht sehr glücklich über die Berufung von Georg Alexander. Ich nehme die Situation jetzt so wahr, daß ein Stück Luft geholt werden kann.
GRIP: Die Region Berlin-Brandenburg ist eine sehr wichtige Region für Filmschaffende Deutschlands. Deshalb ist doch eine schnelle Entscheidung notwendig.
Karg: Das sehe ich auch so. Da ist mein Eindruck, daß die brandenburgische Landesregierung schneller und konzentrierter auf die Situation reagiert hat, als die Berliner Landesregierung. In Berlin hat die Filmförderung im Vereinigungsprozeß keine Weiterentwicklung erfahren und schien nicht so im Mittelpunkt des politischen Interesses zu stehen wie in Brandenburg. Das hat zu der eigenartigen Wartesituation in dieser Region geführt, die in der Tat sehr große Entwicklungschancen hat.
GRIP: Ist damit auch das von Alexander proklamierte Intendantenmodell gescheitert?
Karg: Das würde ich nicht sagen. Ich sehe es auch nicht als ein Intendantenmodell. Es ist ein Modell, das versucht, verschiedene Ansätze von Filmförderkonzeptionen ineinander zu verschränken; Das spannende Modell der Berliner Förderung und das Modell der Brandenburger Förderung miteinander zu verbinden. Und durchaus Aspekte einer kulturellen Förderung mit einer wirtschaftlichen zu vereinen. Wie genau diese GmbH und die Entscheidungsstrukturen dann aussehen, ist eine Frage, die noch ausgearbeitet werden muß - in enger Kooperation mit den Filmschaffenden der Region. Ich bin strikt gegen Intendantenmodelle, weil ich nicht möchte, daß öffentlich-rechtliche Strukturen in die Filmlandschaft eingezogen werden.
GRIP: Welche Erfahrungen haben Sie in den Gesprächen mit Kollegen der neuen Bundesländer gesammelt?
Karg: Brandenburg und Mecklenburg haben bei der Entstehung der Förderung sehr stark mit NRW und Hamburg zu tun gehabt. Sie wissen ja, daß die Wiedervereinigung auch heißt, daß sehr viele Politiker West in den Osten gegangen sind. Die ganzen Erfahrungen aus diesen Ländern sind also in die Förderinstitutionen im Osten eingegangen. Natürlich haben all diese Förderungen die gleichen Probleme, die wir in Hessen am Anfang auch hatten: Auf der einen Seiten haben sie bürokratische Strukturen wie Haushalte, die auf Jahre bezogen sind, und daß die ganzen Instrumente von staatlicher Förderung beim Film auf sehr spezielle Bedingungen treffen. Wenn Sie Denkmalschutz oder Museen förden, sind diese Haushaltsjahre relativ einfach zu berücksichtigen. Wenn Sie Filmproduktionen fördern, haben Sie es mit anderen Zeitstrukturen zu tun. Darauf müssen sich Bürokratien einstellen. Da ist es oft nicht einfach, diese Erfahrungen einer Behörde eines Bundeslandes auf ein anderes Bundesland zu übertragen. Da sind wir gefragt als Filmsachkundige, mit solchen Informationen präsent zu sein. Ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, solche Erfahrungen zu vermitteln, zu beraten. Auch in die politischen und bürokratischen Bereich hinein. Das ist auch ganz gut gelungen.
GRIP: 1990 gab es vom Bundesinnenministerium einen Sondertopf für die ostdeutschen Filmemacher. Das ist allerdings nur wenigen bekannt geworden. Gibt es solche Informationsdefizite noch immer?
Karg: Das ist besser geworden. Es war und ist ein Problem der Übergangssituation. Es ist wichtig, daß man möglichst viele Leute kennt, die Informationen sammelt und wieder verteilt. So verstehen wir unsere Arbeit hier auch. Während der Vereinigung war es nicht einfach, die Übersicht zu behalten. Eine Wirklichkeit deutscher Geschichte wurde einer anderen Wirklichkeit quasi übergestülpt. Und die Menschen in den östlichen Ländern lernen immer noch Stück für Stück mit diesen neuen Entwicklungen umzugehen. In Dresden habe ich das wieder deutlich gemerkt, daß es in vielen Bereichen Verständnisschwierigkeiten gibt. Aber wir waren sehr schnell ein gesamtdeutscher Dachverband. Das hilft sehr bei dem genauen Hinsehen von beiden Seiten.
GRIP: Im Rahmen der Vereinigung Deutschlands wurden die Fördermittel des Kuratoriums Junger Deutscher Film nur unwesentlich erhöht (um 200. 000 Mark auf 2, 3 Millionen). Kann mit solchen Tropfen auf den heißen Stein die ostdeutsche Filmkultur erhalten werden?
Karg: Nein, sicher nicht. Das Kuratorium ist ja eine der ersten Förderungen in Deutschland und eine ländergemeinsame Institution. Durch die Entwicklung der Länderförderungen ist das Kuratorium auf einem Niveau weitergelaufen. Das Kuratorium muß mit einer neuen Bedeutung versehen werden und die Mittel müssen deutlich aufstockt werden. Es darf nicht um 200.000 Mark oder Zwei-Millionen- Beträge gehen.
GRIP: Inwieweit berücksichtigt denn das neue Filmförderungsgesetz (FFG) die neuen Bundesländer?
Karg: Da kann ich eigentlich nur sarkastisch reagieren, weil ich bei all den Anhörungen dabei war. Das neue FFG berücksichtigt laut dem Hauptverband der Filmtheater die neuen Bundesländer dahingehend, daß die Kinolandschaft dort enorm gewachsen ist und die Verleihfirmen durch die neu hinzugekommenenen Zuschauer mehr verdienen, die Marktchancen für Filme größer geworden sind und daß deshalb die Eingangsschwelle zur Referenzfilmförderung drastisch erhöht werden muß. Die Diskussionen haben ohne die Kollegen aus dem Osten stattgefunden. Auch in der Länderarbeitsgruppe war ich der einzige, der auch die Interessen der OstKollegen vertreten hat. Es wird viel zu wenig wahrgenommen, daß in der ehemaligen DDR eine differenzierte Filmkultur existierte, mit allen Problemen die es da gab. Und nicht nur Propagandafilme, sondern auch Kinderfilme, Dokumentarfilme und gute Spielfilme hervorbrachte, die weltweit anerkannt waren.
GRIP: Wie entwickelt sich die Kinosituation Ostdeutschlands? Was ist aus den Filmclubs geworden?
Karg: Das ist noch sehr schwer zu sagen. Die Kinos sind in einer Umbruchsituation. Sehr viele große Kinobetreiber aus dem Westen haben Kinos im Osten übernommen. Da entstehen ganz neue Strukturen. Ich weiß aber auch, daß die Filmclubbewegung, die zuerst sehr abgebrochen ist, sich neu konstituiert. Eine ganze Menge Initiativen für Kommunale Kinos existieren, Programmkinos haben ihre Arbeit aufgenommen. Kulturhäuser und - Zentren arbeiten auch mit Film. Ich bin trotz vieler bitterer Erfahrungen optimistisch, weil ich bei meinen Aufenthalten im Osten erlebt habe, daß viele junge Leute ihre Ärmel hochkrempeln und selbst anpacken. Das ist eine Aufbruchsituation, wie wir sie in den späten sechziger Jahren hatten.
GRIP: In welchen Punkten unterscheiden sich die neu entstandenen Förderungen? Sachsen-Anhalt nennt seine Förderung beispielsweise Film- und Medienkultur und möchte auch Initiativen in den Geldsegen einbeziehen.
Karg: Sachsen-Anhalt war für mich die am schwersten erfaßbare Förderung. Mit Freude und Erstaunen habe ich festgestellt, daß alle Bereiche der Kultur unterstützt werden. Ich finde es beispielhaft, daß alle Bereich von Film- und Medienkultur erfaßt sind und diese Förderung sehr differenziert arbeiten kann. Ich halte es bei Landesförderung für wichtig, daß sie offen für alle Bereich sind und ohne Quotierung fördern können. Dadurch kann in den Bereichen Verleih, Vertrieb und Abspiel sowie bei Initiativen und Festivals sehr pointiert unterstützt werden. Bei allen Förderungen der neuen Bundesländer ist diese Offenheit vorhanden. Da hat Hessen mit seinem offenen Modell ein Stück weit Pate gestanden, denke ich.
GRIP: Auf der Frankfurter Filmschau lief ein Yuppie-Film namens “Die goldene Sonne", in dem sehr häufig ein Mercedes- Cabrio zu sehen war. Warum wurde ein solcher Stoff gefördert?
Karg: Fragen Sie die Jury! Wir freuen uns über gute Kritiken. Das heißt, daß Filme kompetent kritisiert werden - und nicht, daß sie gut besprochen werden. Wenn von Ihnen zur “Goldenen Sonne” ein kritischer Artikel kommt, der den Film gut argumentativ auseinandernimmt, sage ich: “Toll, er hat eine gute Kritik” - im Sinne von kompetenter Kritik.
GRIP: Charly Weller, der Frankfurter Regisseur, hat in Hessen noch nie eine Förderung bekommen, obwohl seine Filme mit Preisen ausgezeichnet wurden.
Karg: Charly Weller ist so ein bißchen eine tragische Figur, weil er drei-, viermal in der Endauswahl von Projekten dabei war und jedesmal ganz knapp gescheitert ist. Das hat eine gewisse Tragik. Es gibt einige solcher Fälle. Charly Weller ist ein großes Talent. Er macht eine sehr engagierte Arbeit. Ich schätze ihn sehr und habe auch schon sehr viel Arger von ihm abbekommen, weil ich meinen Kopf dafür hinhalten muß, was die Jury entschieden hat. Ich hätte ihm gewünscht, daß ihm mal ein Projekt finanziert wird und habe mich gefreut, daß er diesen Film jetzt machen konnte.
GRIP: Weller ist nun mal ein Frankfurter und erzählt auch Geschichten aus der Region.
Karg: “Der Schlammbeißer” ist ein Beispiel dafür, daß ein Film, der ohne Geld entstanden ist, interessant, spannend und vorzeigbar sein kann. In einer Zeit, wo viele argumentieren, daß ein guter Film teuer sein muß, finde ich dies umso wichtiger.
GRIP: Die wahren Schuldigen der Katastrophe des deutschen Films sitzen in den Kulturbürokratien von Hamburg, München und Köln meint Andreas Kilb in der Zeit. Stirbt der deutsche Film Ost auch an der Kleinstaaterei?
Karg: Das sehe ich überhaupt nicht so. Ich sage mal drastisch: Der deutsche Film Ost ist gefährdet. Einmal durch ein nicht richtiges Wahrnehmen der Filmschaffenden im Osten durch Politiker im Westen. Das habe ich bei den FFG-Anhörungen von Politikern verschiedener Parteien erlebt, auch bei der Länderkomission. Und es scheint im Moment relativ schnell zu passieren, daß man sagt, dieser Film gefällt mir nicht, und der ganze deutsche Film ist ja sowieso Mist. Das halte ich für leichtfertig und gefährlich, weil ich auf das Festival in Hof zurückblickend denke, daß der deutsche Film sehr vielfältig ist. Es gibt viele Talente. Es gibt gewisse Probleme und Schwierigkeiten und der Marktanteil des deutschen Films im Kino heißt letztendlich “Otto” und andere Filme dieser Art mit großen Fernsehstars. Die Probleme der Öffentlichkeit für Film liegen woanders. Selbst Steffen Kuchenreuther (Präsident des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater; Anm. d. Red) hat im Filmecho geschrieben, es gebe keinen freien Markt im Kinobereich. Und auch die Verleihszene ändert sich vehement.
Kategorie: Interview
Schlagworte: Filmförderung, Filmpolitik, Kulturförderung, Filmemacher*in
