GRIP 06
6/1/1993
Rüsselsheim: Höhen und Tiefen
Ein neuer Filmpreis für junge Kurzfilmer: Angehörige und Freunde der Opfer des Heidelberger Flugzeugabsturzes gründen eine Stiftung - das Publikum entscheidet über die Preisvergabe.
Von Stefan Müller
"Das Leben hat Höhen und Tiefen", schrieben drei Rüsselsheimer Filmemacher 1990 in ihr Programm, das einem Manifest glich: Eine "Aufforderung an alle Cineasten, dem Film wieder Glauben zu schenken, ohne sich dabei selbst zu vernachlässigen". Ein Jahr später trauerte ganz Rüsselsheim: Zwei Tage vor Heiligabend 1991 stürzte bei Heidelberg eine DC 3 ab. An Bord waren der Filmemacher Martin Kirchberger und viele seiner Freunde. 28 Menschen starben im Wrack - bei den Dreharbeiten zum satirischen Kurzfilm "Bunkerlow". Eigentlich war der Film schon im Kasten, die Aufnahmen im Flugzeug wurden auf dem Boden gedreht. Der Rundflug war mehr als Dankeschön des Filmteams an die Mitwirkenden gedacht. Zum ersten Mal hatten Martin Kirchberger und Ralf Malwitz, Absolventen der Offenbacher Hochschule für Gestaltung, und Klaus Stieglitz einen Zuschuß aus den Geldtöpfen der Hamburger und Hessischen Filmförderung erhalten.
Mittlerweile haben Angehörige und Freunde des ums Leben gekommenen Filmteams das gesamte "Bunkerlow"-Material geschnitten und bearbeitet. Die Story: Während einer Verkaufsreise für Luftschutzkeller wird aus der Luft eine Bombe abgeworfen, um die Sicherheit der Erdbunker zu demonstrieren. Eine Konferenzschaltung zwischen Flugzeug und Bunker gehört ebenfalls zum Inhalt. Seine Premiere hatte der 17minütige Film beim Hamburger Low-Budget-Festival - dort waren Martin Kirchberger, Klaus Stieglitz und Ralf Malwitz mit ihrer Rüsselsheimer Produktionsfirma "Cinema Concetta" wiederholt mit großem Erfolg zu Gast. Und nicht nur dort liefen ihre satirisch-dokumentarisch angehauchten Kurzfilme mit Titeln wie "Stuhl in Extremsituationen" (1986), "Schga- guler" (1988) und "Buchholz bleibt" (1990): Auch beim Weiterstädter OpenAir-Festival und beim Saarbrücker Ophüls Preis waren die drei Rüsselsheimer Stammgäste. Was lag da näher, als den Nachlaß der Verunglückten an junge, noch nicht arrivierte Filmemacher und deren Kurzfilmprojekte zu stiften - ganz im Sinne der drei Rüsselsheimer. Dieser Gedanke entstand unter Angehörigen und Freunden aus der Trauer heraus. Die "Cinema Concetta Filmförderung" war geboren. Noch eine Förderung mehr im schier undurchdringlichen Dschungel bundesdeutscher Fördertöpfe? Ja, aber: Sie unterstützt nicht jeden Film. Nur Kurzfilme mit satirischem, nicht kommerziellen Inhalt sollen in den Genuß von jährlich 10.000 Mark kommen. Das Kapital der Stiftung beläuft sich auf über 100.000 Mark, Zuschüsse haben Stadt, Firmen aus der Region und die Flughafen AG gespendet. Alle Formate von Super 8 bis 35 Millimeter sind zugelassen, Videofilme jedoch nicht.
Die Vorauswahl der Filme wird die Stiftung auf den Festivals von Hamburg, Saarbrücken und Weiterstadt treffen. Die erste Preisvergabe wird im Frühjahr 1994 während eines Rüsselsheimer Kurzfilmtages über die Bühne gehen.
Novum: Keine Jury wird den Preisträger ermitteln, sondern das Publikum. "Das ist ein Versuch, der quer liegt und frischen Wind in die Filmszene bringen soll", erklärt Beiratsmitglied Thomas Frickel, selbst Dokumentarfilmer ("Der Störenfried").
Die acht Cinema Concetta-Kurzfilme sollen nicht in Archiven vergammeln, sondern auf möglichst vielen Kinoleinwänden gezeigt werden. Eine Retrospektive unter dem Motto "Wunder der Wirklichkeit" lief schon 1992 beim Wiesbadener "EXground on screen"-Festival. Das Frankfurter Filmhaus hat den Verleih und die Pflege der Streifen übernommen.
Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)
Schlagworte: Kurzfilm, Filmemacher*in, Filmförderung, Festival, Filmhaus Frankfurt
