GRIP 06
6/1/1993
Zivilisation contra Naturzustand
Falling Down
Von Bert Fanseil
Falling Down
R: Joel Schumacher
USA 1993
D: Michael Douglas, Robert Duvall
Die Geschichte ist kurz erzählt: Bill, ein seit kurzem arbeitsloser Schlipsträger, der im Zuge des allgemeinen Stellenabbaus in der amerikanischen Rüstungsindustrie auch seine eigene Überflüssigkeit bescheinigt bekam, macht sich mit dem Auto an einem schönen Sommertag auf, um seine Tochter zu ihrem Geburtstag zu besuchen. Ein beschwerlicher Weg, der ihn wie alle streßgeplagten Amerikaner direkt in einen der unvermeidlichen Staus in den Einfallsstraßen der Großstädte führt. Nichts besonderes würde man meinen, mit ein bißchen Zähigkeit hält man den Benzingestank, den Lärm, die schwitzenden Gesichter der anderen Verkehrsteilenehmer hinter ihren Autofenstern, die Gedanken an die eigene Arbeitslosigkeit, die teilnahmslosen Verkehrspolizisten, den kostenlosen Körpergrill in der Blechbox schon aus. Aber wenn einem die geschiedene Frau auch noch per Anwalt untersagt hat auch nur in die Nähe der eigenen Tochter zu kommen, selbst an ihrem Geburtstag...
Für unseren Helden jedenfalls der entscheidende Anlaß um geistig zu kollabieren und die letzte, dünner gewordene Schicht einsichtiger Fügung in die Rationalitätsanforderungen unserer Zivilisation in einem singulären Akt abzustreifen. In einem beispiellosen Gewaltrausch durch die Slums der Großstadt, wo der Hobbssche Naturzustand noch den ursprünglichen Blutzoll fordert, taumelt unser Held dann, eingereit in das Heer herumirrender Obdachloser, schießwütiger Straßengangs, faschistischer Wehrsportfanatiker und all den bitteren Nebenwirkungen unserer westlichen Werteordnung seinem unausweichlichen Untergang entgegen.
“Bin ich hier etwa der Böse? ” fragt unser Held an einer Stelle des Films. Fast scheint es so, als seien wir uns der Antwort nicht mehr sicher. Dies ist ein amerikanischer Gegenwartsfilm, auf den wir schon sehr lange gewartet haben, unprätentiös gefilmt, mit einem Gespür für das Timing der Geschichte und excellenten Schauspielerleistungen, von denen besonders der nachdenkliche Polizist, der Gegenspieler unseres Helden, besonders hervorzuheben ist. Zivilisation kontra Naturzustand, das ist das Thema dieses Films, der eine beklemmende Gegenwartsinterpretation in Hobbscher Philosopie beinhaltet. Vor dreihundert Jahren formulierte Thomas Hobbes: “Howsoever, it may be perceived what manner of life there would be, where there were no Common Power to feare; by the manner of life, which men that have formerly lived under a peacefull government, use to degenerate into, in a civill Warre. ” Allen Sozialplänen zum Trotz sind die Slums unserer westlichen Großstädte zu Bürgerkriegsschauplätzen geworden, das Los Angeles des Films ist hier nur ein Beispiel für eine allgemeine Entwicklung, dessen Problematik sich - zögernd zwar, aber immerhin - nun auch die großen amerikanischen Filmgesellschaften annähern. Joel Schumachers Film stellt wie viele unabhängige schwarze Filme vor ihm, man denke nur an “Boys in the Hood”, die richtigen Fragen; hier jedoch herrscht die spezifische, klaustrophobische Sichtweise des abgewirtschafteten weißen Mittelstandes vor, für den der Sozialsprung in die gesellschaftlichen Niederungen nicht zu verkraften ist.
Man lasse einen weißen Durchschnittsamerikaner, klein-bürgerlichen Profils, kollabieren und all die beklemmenden Irrationalismen werden an die Oberfläche gespült, Fremdenhaß, Abscheu vor der Homosexualität, ungerichtete Gewaltausbrüche, der Glaube an Lösungen durch Einsatz der Waffe. Erst ein Baseballschläger, dann Messer, Pistole, Maschinengewehr und schließlich die Panzerfaust, die pointierte Steigerung wird in diesem Film konsequent durchgeführt. Der Wegfall der eingübten Werteorientierung führt daher - auch in diesem Film - zwangsläufig in die Hinterstuben fanatischer Freizeitfaschisten. In diesen schwierigen Szenen hat der Film seine Stärken, da es ihm gelingt noch genügend Distanz zu wahren um den Zuschauer von einer Plausibilität faschistischer Denkmuster fernzuhalten. Was hätte wohl Thomas Hobbes zu all dem gesagt? Wahrscheinlich hätte er sich auf sein Landgut zurückgezogen und wohlüberlegt seinen Zaun um noch ein paar Zoll höher richten lassen. Genau diese Reaktion sehen wir zur Zeit auch in den behüteten Kernen unserer westlichen Gesellschaften. Ist es die richtige?
Kategorie: Rezensionen (Bücher und Film bzw. GRIP Kritik)
Schlagworte: Spielfilm
